Imagon by Marrak Michael

Imagon by Marrak Michael

Autor:Marrak, Michael [Marrak, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-01-25T12:38:07+00:00


TEIL VIER

BOREA

13

Ich glaube, es war der Wind, den ich hörte.

Sein Pfeifen und Rauschen waren die einzigen Geräusche, die ich wahrnahm. Vielleicht träumte ich auch nur von ihm. Ein Traum von der Finsternis und dem Wind. Du fällst, raunte die Stimme in meinem Kopf. Es geht unendlich weit hinab, tiefer und tiefer. Ja, du fällst und träumst vom Wind. Ich versuchte meine Augen zu öffnen, konnte aber meine Lider nicht bewegen. Waren sie geschlossen oder bereits offen? Ich wusste es nicht. Dunkelheit. Allenthalben Dunkelheit. Schwarzer Wind.

Der Wind klang, als wehe er um schroffe Bergflanken, heule durch tiefe Klüfte und streiche über karge Felshänge – nicht aber über meinen Körper. Ich fühlte den Wind nicht. Er war nicht bei mir. Oder bewegte ich mich mit ihm? War ich zu seinem Element geworden, eins mit ihm? Schwebte ich? Oder lag ich zerschmettert am Boden eines unfassbaren Abgrunds?

Ich war ein Ruhepol. Bewegungslos. Empfindungslos. Spürte keinen Herzschlag. Nahm weder Kälte noch Wärme wahr, als besäße ich keine Haut, die sie zu fühlen vermochte.

Ich hörte nur den Wind …

Ein zweites Erwachen. Noch immer war ich unfähig, mich zu bewegen, aber ich schaffte es zumindest, meine Augen zu öffnen. Ich sah die Sterne. Im selben Moment, in dem ich sie erblickte, hoffte ich, dass es wirklich Sterne waren, die über mir funkelten … Mein Atem ging ruhig und gleichmäßig und gab mir die Gewissheit, am Leben zu sein. Aber ich konnte nichts fühlen. Absolut nichts. Konnte keinen Finger krümmen, nicht einmal die Lippen bewegen. Womöglich hatte ich mir beim Sturz das Rückgrat gebrochen. Mein Körper war wie gelähmt. Ich konzentrierte mich auf meine Hände, aber dort war nichts. Ich versuchte den Kopf zu drehen, doch mein Körper blieb wie versteinert. Hoffentlich war er nicht nur eine Illusion.

Ich lauschte dem Gesang des Windes und betrachtete die Sterne.

Du bist gefallen, Akademiker. Der Wächter hat dich verschlungen. Wieso also liegst du im Freien und siehst die Sterne?

Ich blinzelte. Tatsächlich, ich hatte geblinzelt! Zum ersten Mal fühlte ich angesichts dieses Erfolges mein Herz schlagen. Der Himmel hingegen irritierte mich. Er war irgendwie seltsam, wirkte unfertig. Ich suchte den Polarstern, konnte aber nicht mit Bestimmtheit sagen, welcher es war. Bedeckte ihn eine Wolke? Nein, dort oben hingen keine Wolken. Und die Deichsel des Großen Wagens … Mein Unbehagen stieg mit jedem Atemzug, den ich himmelan starrte. Die Luft war so klar, dass die Milchstraße als leuchtendes Band zu erkennen war. Nichts trübte die Atmosphäre, kein Leuchten des Mondes überstrahlte das Funkeln der Sterne. Doch Orion, Pegasus, Großer Hund und Schwan … Sämtliche Sternbilder, die ich zu erkennen glaubte, waren verzerrt oder unvollständig. Polaris fehlte oder stand an einer Stelle, an der ich ihn nicht als solchen erkannte. Die Plejaden wirkten in die Länge gezogen, Sirius glänzte viel zu weit im Süden, Wega und Deneb standen zu nah beisammen, der Gürtel des Orion beschrieb einen Knick, und sein Nebel, dessen diffuses Leuchten ich eigentlich im Schwertgehänge des Sternbildes gewähnt hatte, schimmerte unmittelbar neben Beteigeuze. Dann überfiel mich eine viel offensichtlichere Erkenntnis: Ich blickte



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